Beinahe jeder Hundebesitzer spielt gerne mit seinem Hund. Dabei sollten Sie allerdings ein paar Dinge beachten Text: José Arce
Folgenden Satz höre ich in letzter Zeit immer häufiger: „Hilfe, mein Hund ist hyperaktiv.“ Ich frage mich manchmal wirklich, wo all diese Tiere plötzlich herkommen sollen. Wenn ich aber unterwegs bin und sehe, wie und vor allem in welchem Ausmaß die Leute ihre Hunde beschäftigen, wundert es mich nicht mehr, dass einige unserer Vierbeiner so überdreht und nervös sind.
Das Fatale ist, dass sehr viele Hundebesitzer davon ausgehen, dass sich ihr Hund zu wenig bewegt, wenn er unausgeglichen ist und nicht zur Ruhe kommt. Und deshalb versuchen, ihn immer mehr auszupowern.
Hunde sind für mich in vielerlei Hinsicht wie Kinder, aber eines haben sie ganz offensichtlich mit jenen gemeinsam: Sie lieben es zu spielen. Nicht nur mit ihresgleichen, sondern
auch mit uns Menschen. Und das Schöne am Spiel ist, dass es nicht nur ihm Freude bereitet, sondern auch uns.
Spielen ja, aber nicht irgendwie
Was man spielt, ist dabei eigentlich egal. Ich zum Beispiel liebe es, einfach mit meinen Hunden herumzutoben und genieße den Körperkontakt, den wir dabei ganz automatisch haben. Was nicht egal ist, ist, wie man miteinander spielt. Leider kann man eine ganze Menge falsch machen. Das musste auch ein junger Mann erfahren, der eines Tages meine Hilfe suchte. Und er ist beileibe nicht der einzige dem es so erging. Weil er selbst recht sportlich war und sich am liebsten in der freien Natur aufhielt, war seine Wahl bei der Suche nach einem passenden Hund auf einen Border Collie gefallen. Zwei Jahre war dieser jetzt alt. Der junge Mann hatte sein Studium beendet und arbeitete jetzt in einem kleinen Start-up-Unternehmen. Den Hund mit zur Arbeit zu nehmen, war kein Problem. Die Zeit für gemeinsame Jogging- und Radtouren jedoch war mit den Monaten immer weniger geworden. Deshalb hatte er angefangen, einen Ball mit ins Büro zu nehmen, damit er wenigstens zwischendurch mit seinem Vierbeiner spielen konnte. Mittlerweile hatte er sich angewöhnt, den Ball vom Schreibtisch zur Tür hinauszuwerfen, wo er den langen Flur entlangflog und kullerte.
Wenn das Spielen kontraproduktiv ist
Das war praktisch und der Vierbeiner schien Gefallen daran zu finden. Daher warf er den Ball jedes Mal wieder, wenn der Hund ihn brachte. Und der kam oft. Geschätzt kämen sie so sicher auf ein bis zwei Stunden am Tag, in denen der Hund immer nur hin und her sauste, meinte er. „Wenigstens wäre der Hund durch die ganze Rennerei“, so hoffte der junge Mann, „abends so müde wie nach dem gemeinsamen Laufen.“
Seltsamerweise war der Hund zu Hause aber viel aufgedrehter als früher. Überhaupt gab es immer öfter Probleme, weil er nicht so folgte, wie es der Mann sich wünschte. Er lief auch schlechter an der Leine und bellte andere Hunde an. Das hatte er bisher nie gemacht. Was war nur los?
Der junge Mann und sein Border Collie sind kein Einzelfall. Leider ist diese Art des Spielens nämlich weitverbreitet. Es beginnt häufig damit, dass man mit einem Ball, Stock oder Frisbee aufgeregt vor dem Hund hin und her wedelt und ihn zum Beispiel mit Worten anstachelt wie: „Schau mal, was ich hier habe.“
Im Hund wird das Jagdverhalten geweckt
Vielleicht tut man ein paarmal so, als würde man Ball, Stock oder Frisbee werfen. Auf jeden Fall wird der Hund dadurch extrem erregt – zum einen, weil sich die eigene Stimmung auf ihn überträgt, zum anderen weil sein natürlicher Jagdinstinkt geweckt wird. Wenn man das Ding dann endlich wirklich wirft, kann der Hund gar nicht anders, als wie der Blitz hinterher- zujagen. Kommt er dann mit der „Beute“ zurück und man wirft sie erneut, steigert man die Aufregung immer noch weiter. Mit jedem Wurf noch ein bisschen mehr. So weit, bis man schließlich nicht mehr von Spielen reden kann, weil es für das Tier fast schon ein Zwang ist, dem Ball hinterherzulaufen
Durch das Hin-und-Her-Gerenne verausgabt sich der Vierbeiner zwar vielleicht körperlich völlig, mental aber ist er angespannt wie ein Flitzebogen. Er ist nervös, gestresst und überdreht, und diese Verfassung kann schnell einmal in eine problematische Haltung umschlagen.
Der Hund übernimmt die Kontrolle!
Verstehen Sie mich nicht falsch: Das Problem ist nicht, dass der Mann mit seinem Hund Ball gespielt hat. Das Problem ist, dass er mit diesem Spiel den Spaziergang ersetzen wollte. Er wollte das Spiel nutzen, um dem Hund ein Ventil zu geben. Doch was macht der Hund? Er versucht, sein Umfeld zu kontrollieren und selbst zu bestimmen, was wie abläuft. Er läuft dann zum Beispiel beim Gassigehen immer vornweg, zieht also auch an der Leine, bellt Artgenossen oder Menschen aus dem Weg – genau wie der Border Collie meines Kunden. Dazu kommt noch: Weil dieser Hund selbst bestimmen konnte, wann gespielt wurde, geriet das bisher gültige Vertrauen im Mensch-Hund- Team zusätzlich gehörig ins Wanken. Denn ein Hund fühlt sich schnell als angespannter Kontrollfreak, wenn wir den Ball jedes Mal werfen, sobald er ihn uns vor die Füße legt. Dadurch nämlich hat er das Gefühl, das Spiel zu kontrollieren. Dabei sollte genau das unsere Aufgabe sein.
Kein Wunder also, dass der Hund gar nicht mehr zur Ruhe kam. Im vermeintlichen Bewusstsein, das neue „Familienoberhaupt“ zu sein, hatte er gar keine Zeit mehr, sich auszuruhen. Schließlich musste er ja immerzu aufpassen, was um ihn herum alles passiert. Damit ihm und seinem Herrchen nichts passiert.
Das falsche Spiel kann also ganz schön gewaltige Folgen für die Mensch- Hund-Beziehung haben. Und es steht der Harmonie absolut im Wege.
Ein Spiel muss ein Spiel sein
Niemand sollte Spielen als Mittel benutzen, um den Hund müde zu machen oder zu erziehen. Ein Spiel muss ein Spiel sein und darf nichts anderes ersetzen. Es muss für beide immer als solches erkennbar sein. Und dazu gehört auch, dass es zeitlich begrenzt ist. Das ist sogar besonders wichtig.
Es mag hart klingen, aber wir respektieren die Natur unserer Hunde nicht, wenn wir erwarten, dass sie nach dem Spielen müde sind. Sie sind dann nämlich nur körperlich müde, nicht aber müde im Kopf. Äußerlich mögen sie erschöpft ein, innerlich jedoch sind sie extrem aufgeregt. Unsere Hunde brauchen nicht nur eine Arbeit, um müde zu werden. Sie brauchen auch eine Aufgabe, die sie geistig fordert. Bei Tieren, denen diese vorenthalten wird, muss ich immer ein bisschen an Kinder denken, die von ihren Eltern vor den Fernseher gesetzt werden, damit die ihre Ruhe haben. Dass der Nachwuchs danach umso zappeliger und unausgeglichener ist, scheint ihnen nicht aufzufallen. Sie kommen der Natur Ihres Hundes noch näher, wenn
Sie bei der Wahl des Spiels berücksichtigen, welche Aufgaben seiner Rasse ursprünglich zugedacht waren. Spaniel zum Beispiel lieben es, Dinge aus dem Wasser zu apportieren, weil sie zur Entenjagd gezüchtet wurden. Es entspricht daher ihrer Natur, wenn sie sich im Wasser austoben können. Huskies haben Spaß daran, ihren Menschen auf Rollerblades hinter sich herzuziehen. Genauso nimmt ein ausgebildeter Münsterländer die Jagd mit einem Jäger wie ein Spiel. Aber diese Arbeit allein genügt ihm nicht. Der Jäger geht schließlich nicht jeden Tag auf die Pirsch. Daher hat der Hund wie jeder Vierbeiner noch seinen normalen Alltag. Jagen kann deshalb nicht die einzige Art sein, ihn auszulasten. Viele Menschen, die auf die oben beschriebene Art und Weise mit ihrem Hund spielen, hätten dazu vermutlich ohnehin nicht die Zeit – so wie mein Kunde.
Unser Alltag hält zum Glück genug andere Aufgabenstellungen bereit, in denen sich der Hund profilieren kann. Die beste davon ist das disziplinierte Gassigehen. Auch wenn Sie im Alltag immer wieder die Dinge verlangen und üben, die Sie Ihrem Hund beigebracht haben, fordern Sie ihn auf ganzheitliche Art und Weise. Beschäftigung muss in den Alltag integriert werden, dann fühlt sich der Hund wohl. Und das schlägt sich auch auf sein Verhalten nieder: Wenn der Vierbeiner seinen Beitrag zu einem harmonischen Mit- einander leistet, indem er das macht, was er machen soll, ist er ausgeglichen und ruhig. Dann ist er der souveräne Hund, den wir uns wünschen.
Ach ja, auch beim gemeinsamen Radfahren oder Joggen wird der Hund müde – aber eben nicht nur körperlich. Weil er uns dabei immer folgen muss, ist es echte Arbeit für ihn. Das leuchtete auch dem jungen Mann mit dem Border Collie ein. Schließlich gab es keinerlei Probleme, als die beiden noch gemeinsam Sport getrieben hatten. Erst infolge des falschen Ballspiels sah der Hund sein Herrchen nicht mehr als den Verantwortlichen an, der dieser zuvor für ihn war.
Statt dem Tier Sicherheit zu schenken, vermittelte der Mann ihm nun das Gefühl, dass er seinen Menschen glücklich mache, wenn er immer auf einem hohen Niveau von Energie wäre. Dabei wünschte der Mann sich doch genau das Gegenteil.
SPIELEN AUF MEINE ART
Verstecken spielen
Manchmal verstecke ich mich schnell, wenn mein Hund gerade konzentriert irgendwo herumschnüffelt und rufe ihn dann. Es dauert zwar nie lang, bis er mich entdeckt, aber es macht ihm Spaß, mich zu suchen. Und wenn er mich gefunden hat, toben wir ausgelassen noch ein bisschen miteinander herum.
Sich richtig austoben
Beim Fangen spielen muss sich der Hund ganz auf mich konzentrieren. Das fordert seinen Kopf und nebenbei kommt er auch noch gehörig außer Puste. Ich übrigens auch. Wenn Sie sich dabei albern vorkommen, können Sie genauso gut auch mit Ihrem Hund joggen gehen. Was Sie für Sport halten, ist für ihn ein Spiel: gemeinsam durch die Natur rennen.
Gemeinsam die Welt entdecken
Es muss nicht immer wild zugehen. Sie können auch kleine Fährten für Ihren Vierbein- er legen, sich gemeinsam auf Spurensuche begeben oder ein neues Gebiet entdecken. Für Ihren Hund ist vor allem wichtig, dass Sie dabei ganz bei der Sache sind und nicht nebenbei mit dem Handy telefonieren oder sich anderweitig beschäftigen. Spielzeit ist ganz bewusst Zeit nur für Sie zwei. Genießen Sie die Nähe!
MIT ALLEN SINNEN DABEI SEIN
Wie aber kann man nun mit dem Hund spielen, ohne ihm zu schaden? Wie gelingt es, dass beide Freude daran haben und gleichzeitig noch die Beziehung zueinander gefestigt wird? Zum Beispiel indem Sie beim Spaziergang eine Pause machen, in der Sie ganz bewusst miteinander spielen. Dadurch vermitteln Sie Ihrem Hund, dass Sie mit ihm spielen, um ihm eine Freude zu bereiten.
Geben Sie dem Hund außerdem immer das Gefühl, dass Sie die Kontrolle über das Spiel haben. Dazu gehört auch, dass Sie ganz bei der Sache sind und nicht am Handy telefonieren oder sich mit anderen Hundebesitzern unterhalten. Und zu Hause, dass Sie nicht einfach nebenbei beim Fernsehen den Ball werfen. Oder im Büro, während Sie am Computer arbeiten. Wenn Sie nicht die Muße haben, sich voll und ganz auf Ihren Hund einzustellen, lassen Sie es lieber ganz bleiben. Auch wenn Sie es bisher so gemacht haben. Sie brauchen kein schlechtes Ge- wissen haben oder sich gemein vorkommen, wenn Sie seiner Auf- forderung zum Spiel plötzlich nicht mehr nachkommen. Was Sie Ihrem Hund dafür geben, ist so viel mehr: Er kann wieder lernen, Ihnen zu vertrauen, sich Ihnen anzuvertrauen. Und er kann endlich wieder zur Ruhe kommen. Er selbst sein.
DAS SPIEL BEENDEN
Vorsicht: Auch wenn man es richtig macht, kann ein Spiel den Hund „hoch-pushen“. Man muss ihn daher anschließend auch wieder zur Ruhe bringen. Dies gelingt am einfachsten, indem man selbst aufhört und wieder ruhig wird. Dann kommt der Hund automatisch ebenfalls runter.
Sagen Sie nicht: „So, jetzt ist aber Schluss. Wir hören auf.“ Zeigen Sie ihm durch Ihr Verhalten, dass Sie selbst jetzt aufhören. Nehmen Sie zum Beispiel den Ball an sich und gehen Sie langsam ein Stückchen weiter. So beenden Sie die Spielzeit ohne Worte. Reagieren Sie auch nicht auf weitere Aufforderungen Ihres Hundes. Normalerweise wird er ziemlich schnell kapieren, dass der Spaziergang jetzt normal weitergeht. Wenn er es drei-, vier- oder fünf- mal immer weiter versucht, hat er gelernt, dass er nur lang genug nerven muss, damit Sie weiterspielen. Indem Sie nachgegeben haben, haben Sie ihn unbewusst (und ungewollt) darauf konditioniert. Aber auch hier lässt es sich umlernen. Es dauert nur vielleicht ein bisschen länger. Irgendwann wird aber jeder Hund merken, dass es einfach viel mehr Spaß macht, seinem Menschen zu folgen als noch einmal dem Ball oder Stöckchen hinterherzuhetzen. Weil das einfach seinem echten Wesen entspricht. Und ihn genau deshalb auch in dem Maße auslastet, das er braucht, um ein ausgeglichener, souveräner Partner zu sein. Wenn Sie richtig mit Ihrem Hund spielen, haben also beide etwas davon. Sowohl ihr Hund als auch Sie!
Am Beispiel des Spielens wollte ich Ihnen zeigen, wie unkompliziert Hundeerziehung sein kann und wie gut sie sich in den gemeinsamen Alltag integrieren lässt. Ein perfektes Mensch- Hund-Team muss kein Traum bleiben. Sie müssen sich nur trauen, alte Verhaltensmuster hinter sich zu lassen und neue Wege zu gehen. Ihr Hund wird Sie gern auf dieser Reise begleiten.
José Arce ist Hund-Mensch-Therapeut. Er stellt die Verbindung zwischen Mensch und Hund wieder her. Seine Kunden nennen ihn auch gerne den „Hundeflüsterer von Mallorca“. José Arce sieht seine Aufgabe darin, Türen zu einem besseren Miteinander zu öffnen und einen entspannten und friedvollen Alltag mit dem geliebten Haustier zu ermöglichen. Der Weg zu einer echten Beziehung zum Hund führt für ihn über die Instinkte – die des Hundes, aber auch die des Menschen. Weitere Informationen unter: www.jose-arce.com